ECHO
Hier finden Sie Ausschnitte von jeweils einer Rezension meiner Werke.
Helmuth Schönauer in GEGENWARTSLITERATUR 2548:
Einer Dichterin verzeiht man in unserer ewig jungen Konsumkultur vielleicht noch am ehesten, dass sie alt wird. Die Leserschaft erwartet sich von ihr eine gewisse Gelassenheit gegenüber dem Literaturbetrieb und Geschichten, die von Lebenserfahrung gespeist sind.
Ruth Aspöck geht ironisch ernst der Tatsache auf den Grund, dass Dichterinnen lange jung bleiben, wenn sie im literarischen Diskurs stehen, und gleichzeitig alt werden zusammen mit dem literarischen System, in dem sie verankert sind. Für ihre poetische Analyse eines Schriftstellerinnenlebens wählt sie eine gewisse Elizabeth Schwarz als ausgelagertes Ich.
Angespornt von der Erkenntnis, dass das Leben jetzt verlässlich im Herbst angekommen ist, stellt sich die Protagonistin immer wieder die Frage, was wird bleiben? Diese Frage ist deshalb so quälend, weil sich das ganze Leben in der Schriftstellerei gegen den Zeitgeist stemmt und durch Literatur ja etwas Zusätzliches abgeliefert wird als bloß eine Dienstleistung.
Um die Stationen Theater im Zentrum und in der Peripherie, Studium, Journalismus, Feminismus und Schreibarbeit herum lagert die Heldin ihre Aufzeichnungen ab, stellt das damals Geschriebene mit dem weiteren Lebenslauf in Verbindung und kommt zu dem Ergebnis, dass viel Aufwand umsonst gewesen ist, dass viele Überlegungen in Sackgassen geführt haben und dass dieses Abtasten nach hellen Gedankengängen nie ein Ende haben wird.
Manchmal werden diese Erkenntnisse zu plastischen Szenarien, wenn etwa die engelsgleich verehrte Jelinek keine Namen kennt und alles als Einwegkommunikation auffasst, wenn Theaterstücke als Alltag ausgerichtet sind und den nächsten Tag nicht erleben, wenn sich alle noch schnell aufmachen in das nächstbeste Archiv, um den Vorlass zu deponieren in der Hoffnung, dass jemand freiwillig die abgelieferten Kisten in die Unsterblichkeit rettet.
Elizabeth Schwarz ist mit ihrem vagen Kummer der Vergänglichkeit nicht allein, sie holt sich zwei Zeitzeugen an Bord, die sie ein Leben lang beeindruckt haben. Einmal ist es Jean-Paul Sartre, der die politische Literatur eines halben Jahrhunderts so geprägt hat, dass Studenten-Delegationen während kubanischer Ernteeinsätze das Orangen-Klauben einstellen, um über Kunst zu diskutieren. Der andere ist Andreas Okopenko, der mit dem Lexikon-Roman ein eigens Universum geschaffen hat, um dem Zeitgeist zu entsteigen.
Von beiden ist nichts mehr zuhören, auch von den Theaterstücken der letzten Jahrzehnte nicht, auch ein kleiner Verlag hat nichts Unsterbliches bewirkt. Gegen Ende der Überlegungen packt die alte Dichterin ihre letzten Bücher ein und verlässt das Haus am Waldesrand, das sie sich nie hat leisten können. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man durch Schreiben letztlich mehr verdient, als man zum bloßen Überleben braucht.
Ruth Aspöck erzählt diese eingetrübten Bilder vom Altwerden in einer unaufgeregten jungen Form, indem sie die manchmal aufkeimende Verdrossenheit klug auf viele Fallbeispiele verteilt. Seltsam abgeklärt spricht sie vom Feuer, das man in der Literatur mit bloßen Händen fassen muss, das aber letztlich nicht versengt, weil das literarische Feuer Körpertemperatur hat. – Eine melancholisch ausgeklügelte Erzählung vom Altwerden in der Literatur.
Helmuth Schönauer in GEGENWARTSLITERATUR 2351:
Bücher entstehen eher selten aus einem Überdruck, der durch das Schreibventil abgelassen wird. Meist sind Bücher das Ergebnis beharrlichen Sammelns von Notizen und deren Ausbreitung vor dem Leser unter dem Aspekt einer inneren Ordnung der Schreibenden.
Ruth Aspöck setzt in ihrer Lebensreportage „Jadran heißt die Adria“ zwei Frauenschicksale in Gang, die letztlich durch gegenseitiges Erzählen ihres Lebensprogramms mit dem Phänomen fertig werden müssen, dass alles zur Ruhe kommt und einem Ende entgegengeht.
Die Ich-Erzählerin leidet ein wenig unter dem Ruhestand, „Ich lebe angenehm dahin“, sie hat lange vergeblich versucht, aus Europa wegzukommen, irgendwie ist sie in Wien gestrandet und hat sich meist mit prekären Jobs über Wasser gehalten. Ein Leben lang hat sie gesammelt und geordnet, Bierdeckel, Eulen, Notizen. Aber jetzt tritt sie als Erzählerin zurück und überlässt die Bühne ihrer Freundin Susana, deren Leben völlig anders verlaufen ist.
Susana muss nämlich früh aus Banja Luka weg und sich in Wien durchschlagen, ehe sie Mann und Sohn nachholen kann. Als Köchin und Kassierin in einer Betriebsküche mit unbändigem Ordnungs- und Zukunftswillen hat sie ein halbwegs erträgliches Leben hingekriegt. Als aufbauendes Motiv dient ihr ein Reitstall in Sichtweite, auf dem sie die wichtigsten Begriffe des Reitens studieren kann. Aufwärmen / aufsitzen / anreiten / ausreiten /abreiten / abwenden / absitzen. „Leider ist das Leben alles andere als ein gelehriges Pferd.“
Mit diesen Pferdebegriffen sind die Kapitel des Romans überschrieben, im Gegenschnitt führen die Erzählerin und Susana ihre Lebensentwürfe zusammen bis hin zu einer gemeinsamen Reise nach Banja Luka. Obwohl beide Heldinnen ihr Leben selbst in die Hand nehmen, werden doch wesentliche Teile von außen gesteuert. Was hätte aus Susana alles werden können, wenn es nicht den jugoslawischen Zerfallskrieg gegeben hätte?
Die Erzählerin ist manchmal ein wenig neidisch, dass es für Susana einschneidende, elementare Ereignisse gegeben hat, die sich zumindest erzählen lassen. Ihr selbst ist das Leben einfach durchgeflutscht, und jetzt macht sie der Ruhestand ganz nervös, denn sie hat nichts erlebt als ein unauffälliges, letztlich schönes Leben.
In der Parallelführung der beiden Schicksale entsteht letztlich eine beinahe Stifter’sche Gelassenheit. Abgerechnet wird am Schluss im Ruhestand, und dem ist es egal, ob das Leben zuvor geruhsam oder wild gewesen ist. „Die Energie geht in das Bewältigen und Ordnen des Möglichen.“
Ruth Aspöcks „Roman“ führt in die höchste Stufe des Erzählens, in eine Seelengegend, wo das Laute, Spektakuläre und Tagespolitische nicht mehr gefragt sind, wo das „sanfte Gesetz“ waltet, wo es um das Schwierigste geht: das Leben auszuhalten in scheinbarer Ereignislosigkeit und dennoch dabei nicht einzuschlafen. Im Ruhestand aufregend zu schreiben ist wahrscheinlich die höchste Kunst, die eine Schriftstellerin auszuüben vermag, im Projekt „Jadran heißt die Adria“ ist diese Kunst perfekt gelungen.
-> Link zur Rezension
Helmut Schönauer in GEGENWARTSLITERATUR 2228:
In der Geschichtsschreibung gibt es zwar Modelle für Kriegserklärungen, Schlachten und Friedensverträge, aber kaum eine Erzählform kümmert sich um die Auswirkungen dieser großen Veranstaltungen auf das Individuum.
Ruth Aspöck wählt eine besondere Form der Familienaufstellung, um den Übergang des Krieges in die sogenannte normale Weltordnung zu dokumentieren, Dabei teilt sie die Rollen in straff eingegrenzte Ideal-Typen auf, die Figuren sind freiwillig Gefangene von Ideen und versuchen durch Klarheit mit diesen Rollen zurechtzukommen.
Diese Erzählform ist eine zutiefst historische, worin versucht wird, die jeweiligen Personen neben dem Persönlichen auch mit öffentlichen Strömungen und Richtungen auszustatten. In der Hauptsache erzählen Vater und Mutter als Tote, die Haupt-Erzählerin Malwine und ihre beiden Schwestern als lebende Zeitgenossen. Der Status einer toten Erzählerin eröffnet geradezu unendliche Sichtweisen. „Jetzt als Tote brauche ich nicht mehr zu träumen“.
Aber nicht nur die Figuren erzählen säuberlich getrennt ihre Einstellungen und Positionen, auch der Ablauf der Zeitgeschichte ist in Themenscheiben aufgeraspelt und mit Schlagworten überschrieben. Da gibt es unter anderem Art, Weg, Zeit, Trick, Druck, Schock, Volk, Sieg. Diese Knallwörter reißen einerseits ein Thema auf und setzen die erzählerische Beleuchtung in Gang, andererseits dokumentieren sie recht deutlich, dass alle Parole-Wörter hohl sind, einem entsprechenden Zeitgeist unterliegen und die Menschen mit Unwahrheiten umgarnen. Aus diesen Partikeln die wie eine Anleitung zur Moral oder als bürgerlicher Tugendkataster gelesen werden können entwickelt sich dann doch eine kleine Familiengeschichte die sich durch die unmittelbare Nachkriegszeit schlängelt.
Wie kommt man als Nicht-Nazi durch den Krieg ohne anzustreifen, gibt es in einem totalitären System Chancen, sich als Frau zu emanzipieren, warum greift die äußere Ordnung nicht auf die innere über, gibt es ein Familienleben, das auf Fronturlauben basiert?
Die Figuren sind vom Krieg mehr geprägt als sie es wahrhaben wollen. Die überlebenden Frauen probieren es mit Feminismus, Emanzipation, bürgerlicher Assimilation und psychologischer Reinheit. Als reine Lehre fungieren Rollen, aber sobald das Leben zum Zug kommt, verschleifen sich die Positionen in gut österreichischer Manier.
„Die jungen Menschen haben andere Probleme, macht es Sinn, sich auch noch die alten aufzuerlegen?“ fragt sich die Erzählerin am Schluss betroffen und abgekämpft.
Ruth Aspöcks Roman um die zusammengehauenen Menschen nach dem Krieg besticht durch präzise, historische Position. Die einzelnen Sequenzen werden wie Fragen in einem Kreuzworträtsel ausgelegt und ausgefüllt. Und wie bei einem erfüllten Rätsel besteht der Sinn des Unterfangens in der Unerschrockenheit, mit der man ungewöhnliche Fragen stellt. – Eine wundersam straffe Art des Erzählens.
Robert Pichl in: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft, 3.Folge, Band 25, Wien 2014; (Seiten 228-230)
Reisen mit Franz Grillparzer. Auf den Spuren des Dichters quer durch Europa
ist der Rezensent genötigt lauthals ausrufen zu müssen
angesichts des Buchtitels „Nichts als eine langweilige Blindschleiche“.
Da das umfangreiche Buch eine Textmontage aus 50 Jahren
Tagebuchaufzeichnungen der Autorin enthält, kann somit das
agierende Ich gleichgesetzt werden mit dem tatsächlichen von Ruth Aspöck.
Die Aspöck ist eine ganz und gar ausgefuchste Schriftstellerin, die in
vielen Bereichen des literarischen Lebens bereits erfolgreich reüssierte,
doch war es bislang die Verlegerin, Organisatorin, Moderatorin,
Übersetzerin, die im Wissenschaftsbereich Tätige, die den Blick auf die Poetin verstellt hat.
Mit ihrer Textmontage aus 120 Tagebüchern legte sie jedenfalls eine solide Grundlage, eine wahrlich gewichtige Basis, um über ihr bisheriges literarisches Tun intensiver als bis dato scheinbar erforderlich zu reflektieren.
Die Sammlung, die mit dem Kapitel „Anfang und“ beginnt und mit „Ende nie“ (dem 20.) nach über 500 Seiten schliesst, ist wohl das überzeugendste Beispiel in diesem Genre, wie spannend die scheinbar bloß für den eigenen Bedarf notierten Einträge sind, werden sie von einer Autorin von Rang einer Ruth Aspöck nach zig Jahren zur Hand genommen und in ein Raster getan.
Die methodische Dichtung erlebt so eine bislang ungeahnte Variante, in der die Jahrzehnte zusammenpurzeln.